16.06.2022 09:55
Erklärung von Wissenschaftsverbänden zur Prekarität wissenschaftlicher Laufbahnen und #ichbinhanna
Reaktion der Verbände auf die Evaluation des WissZeitVG
16. Juni 2022
Erklärung vom 16. Juni 2022 als PDF
Sehr geehrte Frau Stark-Watzinger,
wir kommen zurück auf die Erklärung von 32 geistes- und sozialwissenschaftlichen Verbänden an das Ministerium für Bildung und Forschung vom 29. Juni 2021, in der wir den #ichbinhanna-Protest am WissZeitVG unterstützen. Auf diese Erklärung sowie eine Erinnerung vom Februar 2022 reagierte das BMBF mit Verweis auf die laufende Evaluation des Gesetzes. Die Ergebnisse der Evaluation liegen nun vor und sie bestätigen den Eindruck, dass sich das WissZeitVG problematisch auf die Arbeit der Hochschulen auswirkt. Das WissZeitVG steht einer produktiven, nachhaltigen und konkurrenzfähigen Gestaltung von Forschung und Lehre an den deutschen Hochschulen entgegen. Unser Befund, dass das Gesetz keine Rechtssicherheit schafft, sondern stattdessen als Instrument administrativer Absicherung wirkt und zum Hindernis für die Forschung und Konkurrenzfähigkeit des Wissenschaftsstandorts Deutschland gerät, wurde durch die Evaluation bestätigt, der Reformbedarf des Gesetzes wurde augenfällig.
Wir unterstreichen deshalb unsere Erklärung vom letzten Jahr mit großem Nachdruck. Inzwischen hat sich noch ein weiterer Verband dem Protest angeschlossen. Insbesondere plädieren wir für eine Differenzierung von Beschäftigungsverhältnissen in der Promotions- und PostDoc-Phase und dafür, nach der Promotion entfristete Beschäftigungsverhältnisse in hinreichender Zahl an den Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen zu ermöglichen. Wir unterstützen darüber hinaus die Forderung des NGAWiss (https://mittelbau.net/ngawiss-forderungen/), für die Gestaltung von Beschäftigungsverhältnissen in der Promotionsphase die durchschnittliche Promotionszeit im Fach in Betracht zu ziehen und die Beschäftigungszeiten in drittmittelfinanzierter Forschung nicht auf die Höchstbefristungsdauer anzurechnen. Zur Umsetzung dieser und weiterer Maßnahmen fordern wir weiterhin eine deutliche, nachhaltige Anhebung der Grundfinanzierung der Hochschulen durch das BMBF. Für die Gestaltung des Reformprozesses stehen wir mit unserer Expertise und unseren Erfahrungen zur Verfügung.
Wissenschaftszeitvertragsgesetz abschaffen – Grundfinanzierung der Universitäten stärken
29. Juni 2021
Erklärung vom 29. Juni 2021 als PDF (Stand: 7. Juni 2022)
Sehr geehrte Frau Ministerin Karliczek,
dank der Initiative #ichbinhanna hat der – schon lange schwelende und vielfach artikulierte – Protest gegen die massiv prekären Beschäftigungsbedingungen von Wissenschaftler_innen an deutschen Universitäten, Hochschulen und Akademien neuen Auftrieb bekommen. Ihre Stellungnahmen in der Debatte im Deutschen Bundestag zu diesem Thema am 24.06.2021 und die Erläuterungen von Staatssekretär Wolf-Dieter Lukas vom 13.06.2021 ignorieren die fundierte Kritik von Wissenschaftsverbänden, Wissenschaftsorganisationen sowie der konkret betroffenen Wissenschaftler_innen an einer Wissenschaftspolitik, die Promovierende und Postdocs Jahrzehnte in prekären Beschäftigungsverhältnissen hält, sich dabei aber massiv auf ihre Leistungen zur Aufrechterhaltung von Forschung und Lehre stützt, und die die Nachhaltigkeit von grundständig finanzierten, für exzellente Forschung und Lehre tragfähige Strukturen verhindert. Exemplarisch verweisen wir auf die Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Soziologie von Mai 2020 und auf das Diskussionspapier des Verbandes Deut-scher Kunsthistoriker e. V. von Januar 2021 zu diesem Thema.
Der Anteil befristet beschäftigter Wissenschaftler_innen an Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen hat in den letzten zehn Jahren immer weiter zugenommen, er beträgt derzeit deutlich über 85 Prozent. Prekär zu arbeiten ist der Normalfall an deutschen Universitäten und Hochschulen. Die Gründe hierfür sind komplex und die Verantwortlichkeiten verteilt. Es gibt deshalb auch nicht den einen Lösungsweg zur Verbesserung der Situation. Eine wesentliche Verbesserung wäre jedoch schon erreicht, wenn das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, die sogenannte „12-Jahres Regel“, außer Kraft gesetzt wird, die für eine langfristige Beschäftigung auf Haushaltsstellen oder durch universitäre Sondermittel wie ein Berufsverbot wirken kann. Wir fordern deshalb als einen ersten Schritt die kritische und vollständige Evaluation der Wirkung und Folgen des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes. Dabei muss zwischen der Promotions- und der PostDoc-Phase differenziert werden. Insbesondere nach der Promotion müssen hinreichend entfristete Beschäftigungsverhältnisse an den Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen ermöglicht werden, so-dass Forschung, Lehre und die eigene Karriere planbar(er) werden. Dies geht nur durch eine deutliche Verbesserung der grundständigen Finanzierung der Universitäten und Hochschulen.
Die Diskussion muss auf allen Ebenen – konkret: zwischen Ministerium, Fachverbänden und Akteuren der Hochschulpolitik sowie auf Länderebene – fortgesetzt werden. Sehr vielen geisteswissenschaftlichen Verbänden ist dies ein zentrales Anliegen. Der VHD hat einen Resolutionsentwurf mit dem Titel „Die Berufswege promovierter Historikerinnen und Historiker in der Wissenschaft besser gestalten“ ausgearbeitet, der auf dem Historikertag in München Anfang Oktober 2021 diskutiert wird.
Wir rufen die Verantwortlichen auf, den notwendigen Reformprozess und Systemwandel zusammen mit den Fachverbänden einzuleiten.
Initiatorinnen
Deutsche Gesellschaft für Amerikastudien (DGfA),
Präsidentin Prof. Dr. Ruth Mayer
Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands e. V. (VHD),
Vorsitzende Prof. Dr. Eva Schlotheuber
Deutsche Gesellschaft für Soziologie (DGS),
Vorsitzende Prof. Dr. Paula-Irene Villa Braslavsky
Erstunterzeichnende
Deutsche Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaft (DGPuK)
Verband Deutscher Kunsthistoriker e. V.
Folgende Verbände haben sich der Erklärung angeschlossen
Gesellschaft für Medienwissenschaft (GfM)
Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft (DVPW)
Deutsche Vereinigung für Religionswissenschaft e. V. (DVRW)
Deutsche Gesellschaft für Medizinische Soziologie (DGMS)
Gesellschaft für Geschichte der Wissenschaften, Medizin und Technik (GWMT)
Deutsche Gesellschaft für Sozial- und Kulturanthropologie e. V. (DGSKA)
Deutsche Gesellschaft für Volkskunde e. V. (dgv)
Gesellschaft für Kanada-Studien in deutschsprachigen Ländern e. V. (GKS)
Gesellschaft für Anglophone Postkoloniale Studien e. V. (GAPS)
Deutscher Anglistenverband e. V.
Gesellschaft für Comicforschung e. V. (ComFor)
Fachverband Medizingeschichte e. V.
Gesellschaft für Hochschulgermanistik im Deutschen Germanistenverband (GfH im DGV)
Gesellschaft für Technikgeschichte e. V. (GTG)
Mediävistenverband e. V.
Gesellschaft für Japanforschung e. V. (GJF)
Kulturwissenschaftliche Gesellschaft e. V. (KWG)
Fachgesellschaft Geschlechterstudien/Gender Studies Association (Gender e. V.)
Doing Science & Technology Studies in and through Germany e. V. (stsing)
Gesellschaft für Musikforschung e. V.
Society for Women in Philosophy Germany e. V. (SWIP)
Deutsche Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte (DGUF)
Chartered Institute for Archaeologists Deutschland (CIfA Deutschland)
German Labour History Association (GLHA)
Deutsche Gesellschaft für das Studium britischer Kulturen e. V.
Deutsche Gesellschaft für Politikwissenschaft e. V. (DGfP)
Deutsche Gesellschaft für Hochschuldidaktik e. V. (DGHD)
Bundesverband für Ethnolog*innen e. V. (bfe)
Deutsche Gesellschaft für Psychologie e. V. (DGPs)
Beirat des wissenschaftlichen Nachwuchses (WiN) der Gesellschaft für Informatik e. V. (GI)
Kontakt
Deutsche Gesellschaft für Amerikastudien: ruth.mayer[at]engsem.uni-hannover.de
Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands e. V.: geschaeftsstelle[at]historikerverband.de
Deutsche Gesellschaft für Soziologie: marcel.siepmann@kwi-nrw.de