Resolution: Die Berufswege promovierter Historikerinnen und Historiker in der Wissenschaft besser gestalten
Verabschiedet von der VHD Mitgliederversammlung am 8. Oktober 2021
Textvorlage:
VHD Unterausschuss „Befristete Arbeitsverhältnisse und Karrierewege in der Forschung“: Sabine Behrenbeck, Frank Bösch, Ute Daniel, Sonja Levsen, Ulrike Ludwig, Kathrin Meißner, Lutz Raphael, Hedwig Richter, Torsten Riotte, Eva Schlotheuber
Präambel
Die Zahl befristet beschäftigter promovierter Historikerinnen und Historiker an Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen hat in den letzten zehn Jahren immer weiter zugenommen. Für sehr viele von ihnen rückt die Aussicht auf Entfristung in weite, unkalkulierbare Ferne. Die Berufsperspektiven in unserem Fach stehen oftmals in keinem erkennbaren Zusammenhang mit den erbrachten Leistungen in Forschung und Lehre. Das Fach verliert aus diesem Grund einen erheblichen Teil seiner hochqualifizierten Post-Docs und damit in erheblichem Maße seine Potentiale in Forschung und Lehre.
Das deutsche Wissenschaftssystem, das wir aus der Perspektive der Geschichts-wissenschaften betrachten, ist im letzten Jahrzehnt durch einen sehr hohen Anteil an Drittmittelforschung und eine nicht ausreichende Grundfinanzierung pro Studierenden in eine Schieflage geraten. Als Folge werden über Drittmittel finanzierte Stellen de facto Lücken im Stellenangebot der Universitäten und Forschungsinstitute kompensiert. Wissenschaftskarrieren verlieren nicht zuletzt deshalb zunehmend an Attraktivität, weil Universitätsverwaltungen sich scheuen, auch langjährig in Drittmittelprojekten tätige Historikerinnen und Historiker zu entfristen. Dies hat insbesondere Konsequenzen für diejenigen, die sich nach der Promotion für eine wissenschaftliche Laufbahn entscheiden wollen.
Aber auch bei Haushaltsstellen sind die Erfolgschancen von Post-Docs in einem Maße prekär, dass dadurch oft wissenschaftliche Arbeit entwertet wird. Selbst nach einer hervorragenden Habilitationsschrift bleibt eine große Unsicherheit, ob diese zu einer Professur oder entfristeten Stelle führt. Die Attraktivität des Fachs Geschichte wird dadurch nicht nur für die nachrückenden Historikerinnen und Historiker deutlich gemindert. Prekäre bzw. kurzfristig getaktete Beschäftigungsverhältnisse für Post-Docs gefährden die Qualität historischer Forschung, da sie alle Betroffenen zu risikoarmen Projekten, Verzicht auf oder Aufschub von riskanten, längerfristigen, aber innovativen Forschungsvorhaben verleiten und den Anpassungsdruck an gängige Trends oder etablierte Positionen und deren Vertreterinnen und Vertreter nahelegen. Zudem beeinträchtigt die mangelnde Planbarkeit die Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie erheblich.
Deshalb fordert der Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands e. V. (VHD) die Leitungen der Universitäten und historischen Institute, von außeruniversitären Forschungseinrichtungen sowie die Wissenschaftsministerinnen und -minister der Länder dazu auf, konkrete Maßnahmen zu ergreifen, um die Zukunftschancen promo-vierter Historikerinnen und Historiker angemessen zu sichern. Wir treten für einen Systemwandel ein, der dazu beitragen soll, die Situation der Postdoktorandinnen und -doktoranden entscheidend zu verbessern und ihrer langfristig drohenden Prekarisierung Einhalt zu gebieten.
Für eine vielfältige und nachhaltige Gestaltung von Berufswegen
Es gibt nicht den einen Königsweg zur Verbesserung der Situation. Der VHD fordert die Verantwortlichen auf, unterschiedliche Möglichkeiten zu erproben und bestehende Reformansätze konsequent weiterzuentwickeln. Dabei sollten folgende Grundsätze für die künftige Gestaltung von Berufswegen und Karrieren für Historikerinnen und Historiker im Wissenschaftssystem handlungsleitend sein:
- Der Einstieg in kalkulierbare, d. h. aber auch entfristete Berufswege in akademische Forschung und Lehre muss früher als heute erfolgen, transparent und leistungsorientiert gestaltet werden. Dies muss für Professuren, Juniorprofessuren und Post-Doc-Stellen gleichermaßen gelten.
- Wissenschaftskarrieren müssen für Historikerinnen und Historiker unterschiedlicher ethnischer und sozialer Herkunft, religiöser und kultureller Überzeugung und Nationalität offenstehen. An den Universitäten muss die enge Verbindung von Forschung und Lehre gewahrt und die Internationalität des Wissenschaftsstandorts Deutschland im Fach Geschichte weiterentwickelt und gesichert werden.
- Die Stellenstruktur in Universitäten und außeruniversitären Forschungs-einrichtungen muss mittel- und langfristig so gestaltet werden, dass das Verhältnis von entfristeten zu befristeten Stellen zugunsten einer größeren Zahl entfristeter Stellen verändert wird. Durch einen schrittweisen Umbau kann gesichert werden, dass auch in Zukunft kontinuierlich Stellen für Post-Docs in hinreichender Zahl bereitstehen. Nur so kann die Innovationsleistung des Faches institutionell gesichert werden. Die Krise des aktuellen Beschäftigungssystems darf nicht zulasten künftiger Verjüngungschancen und Erneuerung gehen.
- Die Stellenprofile in Forschung und Lehre müssen den veränderten Anforderungen und Aufgabenstellungen für das Fach Geschichtswissenschaft angepasst werden: vor allem die Entwicklung digitaler Forschungsinfra-strukturen, die dynamische Weiterentwicklung des Aufgabenprofils beim Transfer historischer Forschung in die Öffentlichkeit schaffen neue Anforderungsprofile, die in den Stellenplänen von historischen Instituten und Forschungseinrichtungen Berücksichtigung finden müssen. Dies würde auch die Durchlässigkeit wissenschaftlicher Laufbahnen und akademischer Personal-strukturen für den Wechsel von und zu Berufswegen in den vielen Bereichen historischer Bildung, Dokumentation und Geschichtskultur verbessern.
Für eine langfristige Planbarkeit von wissenschaftlichen Karrieren
In der aktuellen Diskussion liegen bereits zahlreiche Reformvorschläge vor. Sie richten sich auf das Wissenschaftssystem insgesamt. Für das Fach Geschichte bieten vor allem folgende Vorschläge zukunftsreiche Perspektiven:
- Alle Post-Doc-Stellen sollten transparent durch offene Ausschreibung und durch qualifizierte Gremien vergeben werden, um diejenigen auszuwählen, die das Potential für eine spätere entfristete Stelle aufweisen. Auch bei Drittmittelprojekt-stellen, die in Forschungsverbünden in der Regel den methodischen und thematischen Fokus vorgeben, sollte darauf geachtet werden, dass sie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern genug Möglichkeiten bieten, eigenständig Schwerpunkte entwickeln zu können.
- Eine Vielfalt der Karrierewege ist zu begrüßen, die aber alle mit einer klaren Perspektive für eine unbefristete Anstellung verbunden sein sollten. Dies gilt für eine Juniorprofessur, haushaltsfinanzierte und drittmittelfinanzierte Stellen gleichermaßen. Es liegt hier in der Verantwortung von Universitäten und Forschungseinrichtungen diese Stellen nachhaltig zu finanzieren.
- Um eine frühere Entscheidung für eine wissenschaftliche Laufbahn zu ermöglichen, sollten verstärkt Juniorprofessuren (mit tenure track) eingerichtet werden, die mit einer Endevaluation den Weg zu einer Entfristung eröffnen. Dies fördert zugleich die Herausbildung eines eigenständigen Forschungs- und Lehrprofils. Voraussetzung dafür sollte ein Wechsel der Universität nach der Promotion und ein Auswahlverfahren mit externer Begutachtung sein.
- Voraussetzung für eine unbefristete Professur bleibt bei allen Karrierewegen in der Regel das zweite Buch als eine eigenständige, von der Dissertation thematisch unabhängige größere wissenschaftliche Leistung.
- Unbefristete Beschäftigungsverhältnisse sollen nicht nur im Bereich der Professur möglich sein. Die Leitungen der Universitäten und Historischen Institute sollten vielmehr darauf hinwirken, dass auch im sogenannten akademischen Mittelbau realistische Perspektiven auf unbefristete Beschäftigungsverhältnisse eröffnet werden. Auch hier ist eine externe Evaluierung der Leistungen in Forschung und Lehre eine Voraussetzung. Die Attraktivität dieses Karriereweges sollte durch konkrete Aufstiegschancen, verbunden mit einer zunehmenden Selbstständigkeit in der Forschung, der Übernahme von Leitungsaufgaben und Verantwortlichkeiten in der akademischen Selbstverwaltung sowie der Möglichkeit zur wissenschaftlichen Weiter-qualifikation gestärkt werden.
- Da das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, die sogenannte „12-Jahres Regel“, für eine langfristige Beschäftigung auf Haushaltsstellen oder durch universitäre Sondermittel wie ein Berufsverbot wirken kann, sollte es abgeschafft werden.
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