VHD macht sich stark für ältere Epochen im Geschichtsunterricht

25. Oktober 2024

Derzeit wird der Entwurf des Rahmenlehrplans Geschichte für die gymnasiale Oberstufe für Berlin und Brandenburgs diskutiert. Der Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD) beobachtet die dort vorgesehene Streichung der vormodernen Geschichte mit großer Sorge. Der VHD wendet sich gegen die allgemeine Tendenz, die älteren historischen Epochen im Geschichtsunterricht immer weniger zu berücksichtigen und so einer zunehmenden gesellschaftlichen Geschichtsvergessenheit Vorschub zu leisten.

Die einseitige Betonung nur der neueren Epochen verhindert die Entwicklung einer historischen Kompetenz, die größere historische Zusammenhänge angemessen zu bewerten weiß. Die frühe und sehr kurze Behandlung der älteren Epochen in der Sekundarstufe I sorgt bereits jetzt dafür, dass eine intellektuell anregende Begegnung mit der Geschichte vor dem Ende des 18. Jahrhunderts kaum mehr möglich ist. Eine zweite Unterrichtsphase in der gymnasialen Oberstufe ist daher unverzichtbar, um die Komplexität historischer Prozesse der Vormoderne, die bis in die Gegenwart wirkmächtig sind, angemessen zu vermitteln.

Der VHD hält die Zusammenstellung der Themenfelder in den jetzt systematischen Modulen für hochproblematisch, weil diese in zum Teil grotesker Weise einseitig sind. Das Ziel, durch die Abschaffung der diachronen Perspektiven zu einem zeitgemäßen Geschichtsbild zu kommen, wird komplett verfehlt; stattdessen werden überholte Narrative weiter gestärkt. So verliert der Geschichtsunterricht in der gymnasialen Oberstufe seine Balance. Die Schüler:innen erlangen nicht die Kompetenz, die wechselvollen historischen Prozesse zu identifizieren, durch die es etwa in der Frühen Neuzeit zur europäischen Hegemonie kommen konnte. Die Schüler:innen lernen ferner nicht, zentrale Argumente in aktuellen politischen Debatten zur Legitimation von Kriegen, Migration oder zum Verhältnis unterschiedlicher Kulturen zu bewerten, weil sie die historischen Argumente nicht einordnen können, auf die diese Debatten Bezug nehmen (z.B. „Völkerwanderung“, „Christliches Abendland“).

Der VHD fordert, im Fach Geschichte in der gymnasialen Oberstufe in Berlin und Brandenburg die älteren Epochen zeitgemäß einzubeziehen. Geschichtsunterricht muss dazu anregen, die Gegenwart, in der alle Epochen einer weltumspannenden Geschichte derzeit präsenter sind denn je, in anregender und intellektuell fordernder Weise auf ihre historischen Wurzeln hin zu untersuchen. Dies ist nur unter adäquater Einbeziehung der Geschichte vor den transatlantischen Revolutionen am Ende des 18.  Jahrhunderts möglich.

Hintergrund:

Im November soll die Genehmigungsfassung des Rahmenlehrplans für beide Landesregierungen vorliegen. Bei der Vorbereitung des Rahmenlehrplans waren jenseits von zwei Fachdidaktiker:innen keine Vertreter:innen des Fachs Geschichte der Berliner und Brandenburger Universitäten beteiligt.

Das bisher für Berlin vorgesehene Modul „Die Grundlegung der modernen Welt in Antike und Mittelalter“ soll ersatzlos gestrichen werden. Dieses Modul beinhaltete neben einer Orientierung über grundlegende Daten und Fakten eine Einheit zur „Geschichtskultur“. Diese befasst sich dezidiert mit der Darstellung und Deutung von Antike und Mittelalter in Literatur, Bild und Film sowie in politischen Zusammenhängen. Sie leitet so zur kritischen Reflexion über die Instrumentalisierung von Geschichte in der Gegenwart an. Anstelle dieser Einheit wurden Themenfelder definiert, die Antike, mittelalterliche und frühneuzeitliche Geschichte aussparen. Ausschließlich die Geschichte der Neuzeit seit den Revolutionen in Amerika und Frankreich ist Gegenstand der kritischen Auseinandersetzung von Schüler:innen. Die älteren Epochen werden nur noch gelegentlich im Wahlbereich mit kontextlosen Einzelaspekten erwähnt. Antike, mittelalterliche und weitgehend auch frühneuzeitliche Geschichte haben in der gymnasialen Oberstufe damit jede Funktion für die historische Bildung verloren.