VHD trauert um seinen ehemaligen Vorsitzenden Lothar Gall
Der Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD) trauert um Prof. Dr. Lothar Gall, der am 20. Juni 2024 nach langer, schwerer Krankheit verstorben ist. Er war von 1992 bis 1996 Vorsitzender des VHD.
Nach der Promotion in München und der Habilitation in Köln folgte er zunächst Rufen nach Gießen und Berlin, bevor er 1975 auf den Lehrstuhl für Neuere Geschichte in Frankfurt wechselte, den er 30 Jahre lang innehatte. In Frankfurt fand er ein kongeniales Umfeld, das er selbst in entscheidender Weise prägte. Durch strenge Arbeitsdisziplin und großes Organisationstalent gelang es ihm scheinbar mühelos, zwischen den sich immer weiter auseinanderentwickelnden Sphären der Spitzenforschung, der akademischen Lehre und des Transfers zu wechseln und in allen höchste Meriten zu erwerben.
In der Forschung adressierte Gall die längerfristigen historischen Ursachen des Nationalsozialismus, indem er danach fragte, weshalb sich Alternativen wie ein bürgerlicher, föderalistischer Liberalismus nicht durchsetzen konnten. Dabei insistierte er auf der Wechselwirkung zwischen Strukturen und individuellen Handlungsoptionen, die er in international überaus erfolgreichen Biographien auslotete. „Bismarck: Der weiße Revolutionär“ (1980) führte den damals weithin idealisierten ‚eisernen Kanzler‘ als „Zauberlehrling“ vor, der mit dem kleindeutschen Reich eine politische Struktur geschaffen hatte, deren Folgen er nicht zu beherrschen vermochte. „Bürgertum in Deutschland“ (1989) verfolgte am Beispiel von Mitgliedern der Familie Bassermann den Weg vom ökonomischen Aufstieg im Übergang von der Standes- zur Klassengesellschaft über den Verfassungskampf 1848, die konservative Wende im Kaiserreich bis zum Exil im Nationalsozialismus. Im Laufe der Zeit wuchs Galls Interesse an der Rolle von Unternehmern im 20. Jahrhundert, etwa der von Hermann Josef Abs.
Gall war in zahlreichen wissenschaftlichen Organisationen aktiv. Ein besonderes Engagement galt Ausstellungen und Museen, etwa der Ausstellung „Fragen an die deutsche Geschichte“ im Reichstagsgebäude, die zwischen 1971 und 1994 von rund 17 Millionen Menschen besucht wurde. An der Gründung des Hauses der Geschichte der Bundesrepublik in Bonn und des Deutschen Historischen Museums in Berlin hatte er entscheidenden Anteil.
Gall war Träger des Großen Verdienstkreuzes mit Stern der Bundesrepublik Deutschland, des Hessischen Verdienstordens sowie des Balzan-Preises, der u.a. an herausragende Wissenschaftler aus den Geistes- und Naturwissenschaften verliehen wird. Zur weiteren Förderung der Geschichtsforschung stiftete er gemeinsam mit seiner Frau, Prof. Claudia Eder, den großzügig dotierten Lothar Gall-Preis der Goethe-Universität.
Den Nachruf verfasste auf Bitten des Vorstands: Prof. Dr. Andreas Fahrmeir
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