VHD vergibt Preise an Nachwuchswissenschaftler

23. September 2016

Der VHD hat am 22. September 2016 auf der Festveranstaltung des 51. Deutschen Historikertages zwei herausragende Habilitationen und zwei herausragende Dissertationen ausgezeichnet. Erstmals wurde ein Preis für herausragende geschichtswissenschaftliche Aufsätze und der Übersetzungspreis der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius vergeben. Zudem wurden vier Poster im Wettbewerb des Doktorandenforums prämiert und zwei herausragende Forschungsleistungen von Schülerinnen und Schülern geehrt.


Der Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands e.V. vergibt alle zwei Jahre im Rahmen des Deutschen Historikertages Preise zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Am gestrigen Abend wurden folgende Preisträger ausgezeichnet:


Simone Derix erhält den Carl-Erdmann-Preis
Simone Derix wurde am 22. September für ihre Habilitationsschrift „Die Thyssens. Familie und Vermögen“ mit dem Carl-Erdmann-Preis ausgezeichnet. Der Carl-Erdmann-Preis ist mit 6.000 € dotiert und wird für herausragende Habilitationen vergeben.
Simone Derix ist Privatdozentin für Neuere und Neueste Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Sie studierte Mittlere und Neuere Geschichte, Deutsche Philologie, Romanistik und Politikwissenschaft in Bologna und Köln, wo sie 2006 zum Dr. phil. promoviert wurde. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin am Hamburger Institut für Sozialforschung sowie an den Universitäten Duisburg-Essen, Köln und München und Förderstipendiatin am Historischen Kolleg München. 2014 habilitierte sie sich an der Ludwig-Maximilians-Universität München und hatte seitdem Vertretungsprofessuren an den Universitäten Bielefeld, Gießen und Mainz inne. Im Wintersemester 2016/17 vertritt sie die Professur für Neueste Geschichte an der Goethe-Universität Frankfurt.
Simone Derix nimmt in ihrer Studie das ganze Spektrum der Beteiligten im Zusammenspiel von Familie und Vermögen der Familie Thyssen in den Blick – von den männlichen und weiblichen Thyssens über ihre Hausangestellten bis hin zu ihren zahlreichen Rechts- und Finanzberatern. Ihr Vermögen bietet den zentralen Schlüssel für das Leben der Thyssens seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Es ermöglichte extravagante Lebensweisen in Europa, den USA und Südamerika. Es stand im Zentrum heftiger Konflikte innerhalb der Familie; ihm galt in Kriegs- und Krisenzeiten aber auch die gemeinsame Sorge. Um es zu erhalten und zu mehren, entwickelten die Thyssens Strategien, ihr Vermögen international möglichst unsichtbar zu streuen. Sie nahmen dabei Praktiken vorweg, die in manchem dem globalen Finanzkapitalismus der Gegenwart nahe kamen. Die Buchpublikation erscheint zum Historikertag bei Schöningh unter dem Titel „Die Thyssens. Familie und Vermögen“.


Romedio Schmitz-Esser erhält den Carl-Erdmann-Preis
Auch Romedio Schmitz-Esser wurde für sein Werk „Der Leichnam im Mittelalter. Einbalsamierung, Verbrennung und die kulturelle Konstruktion des toten Körpers“ mit dem Carl-Erdmann-Preis ausgezeichnet.
Romedio Schmitz-Esser, geboren 1978 in Hamburg, studierte Geschichte und Kunstgeschichte an der Leopold-Franzens-Universität in Innsbruck. 2005 wurde er mit der Arbeit „Arnold von Brescia im Spiegel von acht Jahrhunderten Rezeption. Ein Beispiel für Europas Umgang mit der mittelalterlichen Geschichte vom Humanismus bis heute“ promoviert. Von 2005 bis 2008 leitete er das Stadtarchiv der Stadt Hall in Tirol. Anschließend war er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Abteilung Mittelalterliche Geschichte des Historischen Seminars der Ludwig-Maximilians-Universität München und erhielt hier 2013 die Lehrbefugnis für die Fachgebiete Mittelalterliche Geschichte und Geschichtliche Hilfswissenschaften. Seit 2014 ist er Direktor des Deutschen Studienzentrums in Venedig.
In seiner Habilitationsschrift „Der Leichnam im Mittelalter. Einbalsamierung, Verbrennung und die kulturelle Konstruktion des toten Körpers“ untersucht Romedio Schmitz-Esser in zehn Kapiteln den Umgang der mittelalterlichen Gesellschaft mit dem toten Körper. In einer Verbindung der Erkenntnisse, die neue naturwissenschaftliche Methoden der Mittelalterarchäologie zur Verfügung stellen, mit den Schriftquellen wird disziplinübergreifend die Praxis mittelalterlicher Bestattung, Einbalsamierung und Leichenschändung dargestellt. Der tote Körper stellt sich dabei weniger als ein physikalisches Objekt dar; seine Existenz nimmt vielmehr erst in einem kulturellen Zuschreibungsrahmen klare Konturen an. Der Leichnam lässt sich als Konstrukt verstehen, er entsteht erst durch die sozialen Zuschreibungen und konkreten Handlungen der (Über-)Lebenden.


Der Hedwig-Hintze Preis geht zu gleichen Teilen an Nadine Amsler Weber und Joseph Lemberg
Der nach Hedwig Hintze benannte Preis des Verbandes richtet sich an jüngst Promovierte und wird für eine hervorragende Dissertation aus dem Gesamtbereich der Geschichtswissenschaft vergeben. Der Hedwig-Hintze-Preis ist mit 5.000 € dotiert.
Nadine Amsler Weber wurde für ihre Dissertation „The Lord of Heaven in the Inner Chambers: Jesuits, Women and Domestic Christianity in China (ca. 1580-1690)“ ausgezeichnet.
Nadine Amsler studierte von 2003 bis 2009 in Bern, Berlin, Paris und Peking Religionswissenschaft, Geschichte und Chinesisch. Von 2011 bis 2014 war sie Mitarbeiterin des vom Schweizerischen Nationalfonds finanzierten Projekts „Gender and Religion in Cultural Exchange: Norms and Practices
in Chinese Christianity, 1583-1724“. Die Arbeit an ihrer Dissertation führte sie zwischen 2009 und 2015 für längere Aufenthalte an die Ch’eng Kung Universität (Tainan, Taiwan), an das Istituto Svizzero di Roma sowie an die Ludwig-Maximilians-Universität München. 2015 promovierte sie im Rahmen eines Doppeldoktorats an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und der Universität Bern. Zurzeit ist sie als Assistentin am Lehrstuhl für Neuere Geschichte der Universität Bern tätig.
Ihre Dissertation „The Lord of Heaven in the Inner Chambers: Jesuits, Women and Domestic Christianity in China (ca. 1580-1690)“ befasst sich mit den Geschlechterbeziehungen im chinesischen Christentum des 17. Jahrhunderts. Um den Respekt der konfuzianischen Elite zu gewinnen, passten die Jesuiten ihre Missionsarbeit an deren Sittsamkeitsvorstellungen an und legten großen Wert auf die konfuzianische Norm der Geschlechtertrennung. Separate Frauenkirchen sowie Anpassungen im sakramentalen Bereich waren die Folgen. Die Geschlechtertrennung schloss chinesische Christinnen von zahlreichen religiösen Aktivitäten aus, eröffnete ihnen aber auch neue Spielräume. Frauen entwickelten in den „Inneren Gemächern“ eigene, auf ihre spirituellen Bedürfnisse abgestimmte Frömmigkeitsformen und organisierten sich in Gruppen, in denen religiöse Laienanführerinnen grosses Gewicht hatten. Nicht zuletzt spielten Frauen eine wichtige Rolle in der Finanzierung der China-Mission.

Joseph Lemberg erhielt den Preis für seine Dissertation „Der Historiker ohne Eigenschaften. Eine Problemgeschichte des Mediävisten Friedrich Baethgen“. 

Joseph Lemberg ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte I der Humboldt-Universität zu Berlin. Er studierte von 2000 bis 2007 an der Humboldt-Universität zu Berlin und an der Université Paris I (Panthéon-Sorbonne) Mittelalterliche Geschichte, Alte Geschichte und Philosophie. 2014 wurde er bei Michael Borgolte in Berlin promoviert. Seine Dissertation erschien 2015 in der Reihe „Historische Studien“ des Campus Verlags.
In seiner Dissertation untersucht Joseph Lemberg die glänzende Wissenschaftskarriere des deutschen Mittelalterhistorikers Friedrich Baethgen (1890-1972). In der Weimarer Republik, im Nationalsozialismus und in der frühen Bundesrepublik kam Baethgen zu höchsten akademischen Ehren, so zuletzt als Präsident der Monumenta Germaniae Historica. Joseph Lemberg deutet Baethgens Erfolg als Resultat der Anschlussfähigkeit eines konservativen Geschichtsdenkens, das die politischen Brüche des 20. Jahrhunderts fast unbeschadet überdauerte. Durch das Prisma seines „Historikers ohne Eigenschaften“ lässt Lembergs Problemgeschichte eine „Welt von Eigenschaften ohne Mann“ (R. Musil) entstehen, einen unheroischen Ausschnitt der deutschen Mittelalterhistorie zwischen 1920 und 1960.

Daniel Tödt erhält den Übersetzungspreis der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius
Erstmals konnte auf dem Historikertag ein Übersetzungspreis durch das Engagement der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius verliehen werden. Daniel Tödt erhielt am 22. September den Übersetzerpreis für seine Dissertation „‚Quelle sera notre place dans le monde de demain‘ – Afrikanische Elitenbildung und Kolonialreformen in Belgisch-Kongo (1944-1956)“ Der Preis ist mit 10.000 € dotiert und dient dazu, die Arbeit in eine andere Sprache übersetzen zu lassen.
Daniel Tödt, geboren 1979 in Bremen, studierte Europäische Ethnologie, Afrikawissenschaften und Politikwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin und an der Freien Universität Berlin. Er promovierte bei Prof. Dr. Andreas Eckert in der Geschichtswissenschaft an der Humboldt Universität zu Berlin. Die Promotion ging aus seiner Mitarbeit am SFB „Repräsentationen sozialer Ordnung im Wandel“ hervor. Anschließend bekam Daniel Tödt ein Humboldt-Postdoc-Scholarship. Zurzeit ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Internationalen Graduiertenkolleg „Die Welt in der Stadt: Metropolitanität und Globalisierung vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart“, am Center for Metropolitan Studies, Technische Universität Berlin.
In seiner Arbeit zur afrikanischen Elitenbildung in Belgisch-Kongo arbeite Tödt heraus, dass die Elitenpolitik gebildeten Afrikanern anhand von Vereinen und Zeitschriften eine ambivalente Öffentlichkeit bot. Sie ermächtigte die Évolués und kontrollierte sie zugleich. Die engen Grenzen der Mitbestimmung bei den Kolonialreformen verdeutlichte die Debatte um den Elite-Status. Vom Kolonialstaat eingesetzte Kommissionen prüften, ob sich das in den Elitezeitschriften gepflegte Idealbild auch in der Lebensweise der Status-Bewerber niederschlug. Der Perfektibilitätsdiskurs bewirkte, dass den Bewerbern meist ihre vermeintlichen Unzulänglichkeiten vorgeführt wurden. Die kulturelle Verbürgerlichung der Évolués diente dem Kolonialstaat somit als Neulegitimierung der kolonialen Ordnung, die der Differenz zwischen Europäern und Afrikanern bedurfte. Dadurch führte der Kolonialstaat letztlich die von ihm gefürchtete Verbitterung der afrikanischen Elite selbst herbei.

Julia Rischbieter erhält den Aufsatzpreis des VHD
Für ihren Aufsatz „Risiken und Nebenwirkungen. Internationale Finanzstrategien in der Verschuldungskrise der 1980er Jahre“ wurde Julia Laura Rischbieter mit dem erstmals vom VHD ausgelobten Preis für herausragende geschichtswissenschaftliche Aufsätze ausgezeichnet.
Julia Laura Rischbieter befasst sich in ihrem Artikel mit der Entstehung und Bewältigung der Schuldenkrise der 1980er Jahre. Sie stellt die Frage nach den Entscheidungskalkülen an der Verschuldungskrise beteiligter Akteure und kommt zu dem Ergebnis, dass diese kaum vergangene Erfahrungen für ihre Entscheidungen nutzten sondern fiktive Vorstellungen über zukünftige Entwicklungen heranzogen. Mit ihren nur graduellen Eingriffen mittels Umschuldungsmaßnahmen gelang es den Zeitgenossen nicht die Krise zu überwinden. Erst der Brady-Plan 1989 beendete das sechsjährige Lavieren, doch die nun mehrheitlich vertretene Risikoeinschätzung führte zu bis heute spürbaren Nebenwirkungen: Seitdem finanzieren sich Staaten nicht mehr über Kredite gegeben von Banken, sie verbriefen vielmehr die Risiken über verschiedene Formen von Wertpapieren. Julia Laura Rischbieter studierte Geschichte, Soziologie und Politikwissenschaften in Berlin und promovierte 2009 mit einer Arbeit über „Mikro-Ökonomie der Globalisierung. Kaffee, Kaufleute und Konsumenten im Kaiserreich 1879-1914“. Als Wissenschaftliche Mitarbeiterin arbeitete Sie in Köln, Göttingen und Berlin. Seit März 2016 ist sie Juniorprofessorin für Globale Wirtschaftsgeschichte an der Universität Konstanz.

Preisträger des Doktorandenforums
Am 22. September hat der VHD gemeinsam mit der Gerda Henkel Stiftung drei herausragende Promotionsprojekte, die im Doktorandenforum präsentiert werden, ausgezeichnet. Im Doktorandenforum werden Promotionsprojekte in Posterform ausgestellt. Die fünfköpfige Jury hat folgende Preisträger ermittelt:
Der erste Preis ging an Marlene Schrijnders (University of Birmingham) für Ihr Poster zum Thema „From London to Leipzig and Back: Goth Scenes in the GDR between Endzeit, Weltschmerz and Revolution”.
Martin Schmitt (Universität Potsdam) erhielt den zweiten Preis für sein Poster „Die Digitalisierung der Kreditwirtschaft. Der Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologie in den Sparkassen der BRD und der DDR.“
Der dritte Preis ging an Mareike Heide (Universität Hamburg) für Ihre Präsentation „Holzbein und Eisenhand – Körperteile aus der Werkstatt. Eine mentalitätsgeschichtliche Betrachtung der Prothetik in der Frühen Neuzeit, 1500-1789“.


Verleihung der Schülerpreise des VHD an Finja Marie Haehser, Thomas Grabiak und Lauritz Hahn
Am 22. September wurden Finja Marie Haehser, Thomas Grabiak und Lauritz Hahn für ihre herausragenden Leistungen im Fach Geschichte mit dem Schülerpreis des VHD ausgezeichnet. Dieser wird alle zwei Jahre in Kooperation mit der Körber-Stiftung verliehen. Die Ausgezeichneten wurden auch beim Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten „Anders sein. Außenseiter in der Geschichte“ im Jahr mit dem ersten Preis ausgezeichnet.
Finja Marie Haehser aus Münster erhält den VHD-Schülerpreis für ihre Arbeit „‚Diese unsägliche Zeit, die uns beide ja irgendwie als Ergebnis hervorgebracht hat‘. Das geheime Erbe einer schuldbeladenen Generation: Uneheliche Kinder von SS-Männern und die Schwierigkeiten der historischen Forschung“. Sie beschäftigt sich darin mit einem Kapitel ihrer Familiengeschichte: Ihr Großvater wurde als uneheliches Kind eines verheirateten SS-Mannes geboren, der im Konzentrationslager Mauthausen eingesetzt war und mit Frauen aus der Nachbarschaft zwei Kinder zeugte. Beide Kinder waren mit Schweigen, Lügen und Verdrängen konfrontiert.
Thomas Grabiak und Lauritz Hahn, ebenfalls aus Münster, beschreiben in ihrer Arbeit „‚Der christlichen Begrebnuß unfähig.‘ Die Ausgrenzung der Protestanten Münsters um 1600“ wie Münsteraner Protestanten im 17. Jahrhundert von der katholischen Obrigkeit zu Außenseitern gemacht wurden, die ihnen verbot, ihre Toten auf den Kirchhöfen Münsters zu begraben. Das Begräbnisverbot erwies sich als Mittel der Gegenreformation.


Der VHD ist das Vertretungsorgan der deutschen Geschichtswissenschaft in der Öffentlichkeit. Kernaufgabe des VHD ist die Veranstaltung des Deutschen Historikertages – eine der größten geisteswissenschaftlichen Konferenzen Europas, zuletzt mit 3.800 Teilnehmern auf dem 51. Deutschen Historikertag in Hamburg. Als Interessenvertretung setzt sich der Historikerverband in vielfältiger Weise für die Belange seiner Mitglieder ein und steht als Fachverband im ständigen Dialog mit Hochschulen, hochschulnahen Einrichtungen und der Gesellschaft.