„FRÜHE NEUZEIT ERZÄHLEN“

Datum & Uhrzeit

24. September 2026, 00:00 Uhr –
26. September 2026, 00:00 Uhr

Veranstalter

AG Frühe Neuzeit im VHD
fruehneuzeittag2026@uni-frankfurt.de

16. Arbeitstagung der Arbeitsgemeinschaft „Frühe Neuzeit“ im Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD) / Frühneuzeittag 2026

Ging es dem ersten Frühneuzeittag im Jahr 1995 um eine vorsichtige Öffnung der Geschichtswissenschaften für kulturwissenschaftliche Fragen, stellt sich die Lage 30 Jahre später nahezu umgekehrt dar: Die kulturalistische Wende ist seit Langem vollzogen, kulturwissenschaftliche Ansätze sind auch und gerade in der Frühneuzeitforschung voll integriert, wenn nicht dominant. Klassische Narrative wurden dekonstruiert, viele von ihnen als teleologisch verworfen, so die Moderne, die Staatsbildung hin zum Nationalstaat, die Konfessionalisierung. Die Perspektive der Forschung verläuft nicht mehr nur top down, sondern auch bottom up; akteurszentrierte Ansätze bringen Akteur:innen und ihre Agency auf allen Ebenen zur Geltung. Das methodische Spektrum ist breit: Hermeneutische Zugriffe wurden ergänzt durch den praxeologischen Blick auf kaum reflektierte Routinen; Fragen nach Praktiken und Performanz, nach Materialität und Medialität haben neue Quellenbestände, Themen und methodische Zugänge eröffnet; Gender, Intersektionalität und Alterität sind etablierte Leitbegriffe; außereuropäische Verflechtungen und globale Horizonte werden eingefordert; nichtmenschliche Akteure wie Dinge oder Tiere gelangen zunehmend in den Fokus. Im Ergebnis ist das Bild der Frühen Neuzeit vielfältiger und bunter, der Zuschnitt der Studien globaler und diverser geworden – die Erfolgsbilanz der methodischen Erweiterung kann sich sehen lassen.

Immer schwieriger wurde es indes, historischen Wandel zu erfassen und Geschichte als Prozess zu beschreiben. So erschwert es die kulturwissenschaftliche Fragmentierung, übergreifende Transformationen zu benennen, größere Linien zu ziehen oder gar Aussagen über die Frühe Neuzeit als Ganze zu treffen. Die vielen Geschichten aus der Frühen Neuzeit, so scheint es, lassen sich kaum mehr zu einer Geschichte der Frühen Neuzeit zusammenfügen.

Wie aber können wir unter diesen Voraussetzungen die Geschichte der Frühen Neuzeit erforschen und darstellen? In der universitären Lehre verlangt mindestens die Ausbildung für das Lehramt nach einer Chronologie, in der die Frühe Neuzeit in ihrer spezifischen Relevanz greifbar wird. Eine breitere Öffentlichkeit interessiert sich zweifellos für Alteritätsnachweise und Infragestellungen alter Gewissheiten, doch vielleicht auch für kohärente Narrative größerer Reichweite. Und auch die historische Forschung könnte von der alten methodisch-konzeptionellen Grundfrage nach dem Epochencharakter der Frühen Neuzeit und ihren Grenzen neu profitieren. Was also ist das Spezifische der Epoche? Was hält die Frühe Neuzeit – und damit unser Fach – zusammen? Und wie können und wollen wir diese Frühe Neuzeit erzählen?

Dieser Selbstverständigung des Faches will der Frühneuzeittag 2026 in Frankfurt am Main ein Forum geben. Der Titel „Frühe Neuzeit erzählen“ zielt dabei auf beides: auf die Praxis des Erzählens und auf den Gegenstand dieser Erzählung(en). Gegliedert in drei Blöcke, bieten sich folgende Leitfragen an. Sie sind als Anregung und Einladung zu verstehen und erheben keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit.

  • Signaturen: Gibt es Signaturen der Frühen Neuzeit, d.h. Prozesse, Praktiken, materielle Kulturen, Semantiken, Wissensregime, religiöse Ordnungen oder sonstige Merkmale, die schon vor 1500 und nach 1800 zu beobachten sein mögen, aber doch dem Zeitraum zwischen 1500 und 1800 ein spezifisches Gepräge verleihen? Welche Spezifika, die es überhaupt erst gestatten würden, von der Frühen Neuzeit als Epoche zu sprechen, ergeben sich aus den unterschiedlichen thematischen und methodischen Perspektiven, die unser Fach so reich machen und deren Vielfalt nicht im Geringsten beschränkt werden soll? Und wie verhalten sich die mitunter gar widersprüchlichen Befunde zueinander? Könnte es zielführend sein, Transformationsprozesse für kleinere zeitlich-räumliche Einheiten zu untersuchen? Wenn ja, welche Skalierungen erscheinen angemessen? Gibt es funktionale Felder mit eigenen Rhythmen? Wie unterscheiden sich Sozialformationen wie etwa Stadt und Land? Lassen sich diese Skalierungen und Differenzierungen wieder zu einem Bild, zu einer Epoche zusammenfügen? Ist die Rede von der Einheit der Epoche überhaupt noch berechtigt? Oder ist die Frage nach den Signaturen gänzlich falsch gestellt?
  • Grenzen: Wie jede Theorie, die Einzelbeobachtungen auswählt und zu einem sinnvollen Ganzen zusammensetzt, ist auch der Epochenbegriff „Frühe Neuzeit“ in seiner Geltung vielfach eingeschränkt und begrenzt. Diese Grenzen wurden in den letzten Jahren intensiv diskutiert, sie sind aber weiterhin als Herausforderung zu verstehen. Wie können diese Herausforderungen bis hin zur epistemologischen Kritik an der Situiertheit und Begrenztheit allen Wissens konzeptionell fruchtbar gemacht und vielleicht auch methodisch überwunden werden? Dass sich in sozialer Hinsicht zu fragen lohnt, welche Gruppen von Akteur:innen durch Epochenbegriffe oder Prozesskategorien ein- bzw. ausgeschlossen werden, unterstreicht schon Joan Kellys klassische Frage „Did Women Have a Renaissance?“. In zeitlicher Hinsicht sind konkrete Vorschläge zur Definition und Begründung von Epochengrenzen zu diskutieren. Zugleich können aber auch Fragen nach Kontinuität und Wandel, unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Rhythmen, der Mehrschichtigkeit temporaler Strukturen und der berühmten Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen vertiefte Einsichten in die Epoche gewähren. In räumlicher Hinsicht ist immer wieder betont worden, dass das in und für Europa entwickelte Konzept der Frühen Neuzeit nicht ohne Weiteres auf außereuropäische Regionen übertragen werden kann. Zu diskutieren bleibt generell, ob der Epochenbegriff globalgeschichtlichen Erweiterungen der Perspektive und postkolonialen Verschiebungen gerecht werden kann und will.
  • Erzählen: Nicht zuletzt diese Herausforderungen werfen die Frage auf, wie sich „die Frühe Neuzeit“ erzählen lässt. Damit sind zwei Ebenen angesprochen: die Ebene der Narrative, die unsere Darstellungen durchziehen, und die Ebene der Narration, der Darstellung selbst. So geht es einerseits um die Frage, ob in der Forschung offenkundige oder versteckte Narrative wirken, die im Sinne von Meistererzählungen den Blick lenken, ob wir es wollen (und wissen) oder nicht: Modernisierung wäre ein solches Narrativ älteren Datums, Alterität womöglich ein neues Narrativ, das die Forschung steuert. Gibt es weitere Narrative? Sind sie verzichtbar? Und wie könnten Narrative der Zukunft aussehen? Welche inner- wie außerwissenschaftlichen Faktoren spielen hier hinein? Welche Narrative geben die frühneuzeitlichen Quellen überhaupt her, und wie ist mit den Leerstellen in der Überlieferung umzugehen? Auf einer zweiten Ebene gilt es zu bedenken, wie sich die Frühe Neuzeit darstellen lässt – in Lehre und Forschung, aber auch in Ausstellungen, Schulen, Film und in den sozialen Medien. Wie lässt sich Kontinuität erzählen, wenn Narrative auf Innovation abheben? Und wie bringen diese Erzählweisen Veränderungen zum Ausdruck, ohne in teleologische Muster zurückzufallen? Sind Gesamtdarstellungen der Epoche noch möglich? Sind sie überhaupt notwendig oder auch nur wünschenswert? Welche Debatten werfen die unterschiedlichen Sprachen und Traditionen der internationalen Frühneuzeitforschung auf? Erfordern postkoloniale Ansprüche grundlegend neue Darstellungsformen? Welche Herausforderungen und Chancen bringt die digitale Entwicklung mit sich?

Diese, wie wir meinen, aktuellen Grundfragen der Frühneuzeitforschung will der Frühneuzeittag 2026 aufgreifen. Um eine umfassende Diskussion ebenso wie die Präsentation aktueller Forschungen zu ermöglichen, sind zwei verschiedene Formate vorgesehen. Zum einen soll es für jeden Block – Signaturen, Grenzen, Erzählen – je eine Plenarsektion geben, in der Einzelvorträge Impulse setzen, aber auch der breiten, gemeinsamen Diskussion im Fach ausreichend Raum gegeben wird. Hierfür bitten wir um Vorschläge für Einzelvorträge (20 bis 25 Minuten), die sich einem der drei Themenfelder zuordnen, aus der eigenen Forschung gespeist werden und eine grundlegende Diskussion anregen wollen. Zum anderen wird das bewährte Format der thematischen Sektionen beibehalten, die sich dem Generalthema mit einer stärkeren inhaltlichen Fokussierung nähern. Hierfür bitten wir um Vorschläge für Sektionen mit nicht mehr als drei Beiträgen (einschließlich möglicher Einleitungen und Kommentare). Jeder Sektion stehen zwei Stunden Zeit zur Verfügung, wobei mindestens 45 Minuten für die Diskussion einzuplanen sind. Die Vorschläge für Einzelvorträge wie für Sektionen können in deutscher oder englischer Sprache eingereicht werden; sie sollten max. 10.000 Zeichen umfassen und einen Titel, ein Abstract sowie kurze Angaben zu den Beteiligten (Sektionsleitung, Referent:innen sowie Kommentator:innen) und Vortragstitel enthalten.

Die Tagung wird ausschließlich in Präsenz stattfinden. Tagungssprachen sind Deutsch und Englisch. Interdisziplinär und/oder international zusammengesetzte Panels sind besonders erwünscht. Wir gehen davon aus, dass Kolleg:innen, die aus dem Ausland anreisen, einen Zuschuss zu den Reisekosten erhalten können. Ein vielfältiges, in Kooperation mit Frankfurter Bibliotheken und Museen sowie dem Institut franco-allemand de sciences historiques et sociales (IFRA-SHS) / Institut français Frankfurt angebotenes Beiprogramm wird den Frühneuzeittag ergänzen.

Bitte senden Sie Vorschläge für Einzelvorträge und Sektionen bis zum 07. September 2025 ausschließlich per E-Mail an fruehneuzeittag2026@uni-frankfurt.de

Das Frankfurter Ortskomitee wird in Abstimmung mit dem Vorstand der Arbeitsgemeinschaft „Frühe Neuzeit“ im VHD bis Ende Oktober 2025 eine Auswahl aus den eingegangenen Vorschlägen treffen und allen Beteiligten Bescheid geben.