Rechtsgutachten sieht Forschung und Lehre durch bestehendes Urheberrecht gefährdet – Fachverbände fordern allgemeine Wissenschaftsschranke
Rechtsgutachten sieht Forschung und Lehre durch bestehendes Urheberrecht gefährdet – Fachverbände fordern allgemeine Wissenschaftsschranke.
Die Geistes- und sozialwissenschaftliche Forschung und Lehre kommt heute kaum mehr ohne die Verwendung von Film-, Radio- und Fernsehquellen aus – seien es aktuelle oder ältere Sendungen. Allerdings schränkt das in Deutschland geltende Urheberrecht die Nutzung audiovisueller Zeugnisse in der Wissenschaft so stark ein, dass innovative Forschung und Lehrformate an deutschen Hochschulen im internationalen Vergleich ins Hintertreffen geraten. Auf der Grundlage eines von dem Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD) und der Gesellschaft für Medienwissenschaft (GfM) in Auftrag gegebenen Rechtsgutachtens wird nun die unverzügliche Einführung einer allgemeinen, an den praktischen Bedürfnissen von Forschung und Lehre orientierten Wissenschaftsschranke gefordert. So könnte mehr Rechtssicherheit hergestellt und die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Medien als prägendem Faktor moderner Gesellschaften wesentlich erleichtert werden.
Die herrschende Rechtsunsicherheit und die generell unübersichtliche Lage beim Einsatz audiovisueller Materialien in Forschung und Lehre hat die beiden wissenschaftlichen Fachverbände VHD (Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands) und GfM (Gesellschaft für Medienwissenschaft) dazu veranlasst, ein umfangreiches Rechtsgutachten in Auftrag zu geben. Das von der auf Urheberrecht spezialisierten Anwaltskanzlei iRights.Law angefertigte Gutachten liegt nun vor und zeigt dringenden Handlungsbedarf. So konstatiert der Rechtsanwalt Dr. Paul Klimpel, einer der Autoren: „Bei audiovisuellen Medien bewirkt die Komplexität der urheberrechtlichen Regelungen, dass im wissenschaftlichen Alltag die rechtlichen Grenzen unklar sind. Dies führt zu einer großen Verunsicherung von Wissenschaftlern und beeinträchtigt die Wissenschaftsfreiheit. Nur eine verständliche Wissenschaftsklausel für alle urheberrechtlich relevanten Nutzungen würde die Wissenschaftler davon entlasten, sich fortwährend mit schwierigen Rechtsfragen auseinandersetzen zu müssen.“
Das Gutachten kann über die Websites der beiden Verbände eingesehen werden (siehe unten; www.gfmedienwissenschaft.de). Dabei zeigt sich, dass das deutsche Urheberrecht im digitalen Zeitalter nicht länger auf der Höhe der Zeit ist, sondern negative Folgen für Forschung und Lehre zeitigt. Schon jetzt sehen sich Forscher/innen in vielen Fällen gezwungen, geltendes Recht zu ignorieren, weil andernfalls Forschung und Lehre mit audiovisuellen Medienquellen nicht möglich wären. Wie das Gutachten aufzeigt, wird die wissenschaftliche Arbeit erheblich durch die allgemein unübersichtliche Rechtslage eingeschränkt und behindert; etwa durch langwierige Klärung von rechtlichen Sachverhalten, hohe finanzielle Kosten, Vorsicht bei Bibliotheken und Archiven, Rechtsunsicherheit in der Lehre und beim Publizieren.
Schlimmer noch: Aus Furcht vor den Konsequenzen möglicher Urheberrechtsverfolgungen wird regel-mäßig von bestimmten Forschungsfragen, Untersuchungsgegenständen und Digitalisierungsprojekten gänzlich abgesehen. Andere Vorhaben sind praktisch undurchführbar, wenn Objekte entweder nicht zugänglich sind, Rechte nicht geklärt werden können oder (zu) teure Lizenzen für die wissenschaftliche Nutzung erworben werden müssen. Auch die Lehre ist von erheblichen Einschränkungen betroffen, während die Vereinigten Staaten etwa mit dem so genannten «Fair Use» eine liberale Regelung für nichtkommerzielle Nutzungen in ihrer Gesetzgebung verankert haben. Das bestehende Urheberrecht ist für den Wissenschaftsstandort Deutschland somit innovationsfeindlich und macht Forschung und Lehre mit audiovisuellen Medienquellen in weiten Teilen impraktikabel.
Audiovisuelle Medien, also (bewegte) Bilder und Töne, sind in allen geistes- und sozial-wissenschaftlichen Fächern ein zentraler Bestandteil des wissenschaftlichen Arbeitens, so dass diese Problematik nicht nur einige wenige Personen und Hochschulen betrifft, sondern ganze Fächer und für die Wissenschaft unabdingbare Gedächtnisorganisationen wie Bibliotheken und Archive. Diese Unsicherheiten – und damit auch ihre negativen Folgen – werden in der Zukunft noch drastischer werden, so dass wir den Gesetzgeber zum Handeln auffordern.
Um innovative Forschung nicht noch weiter zu behindern, um im internationalen Vergleich nicht noch weiter ins Hintertreffen zu geraten und um einen angemesseneren Ausgleich zwischen öffentlichen Institutionen und kommerziellen Verwertungsinteressen privatwirtschaftlicher Unternehmen zu sichern, fordern der VHD und die GfM nachdrücklich die Einführung einer allgemeinen Wissenschafts-schranke im Urheberrecht. Diese im Koalitionsvertrag angekündigte Wissenschaftsschranke muss dringend und zeitnah eingeführt werden. Der besonderen urheberrechtlichen Komplexität audiovisueller Inhalte wie Bilder, Töne und Filme jeglicher Art muss darin so Rechnung getragen werden, dass die aktuell bestehenden rechtlichen Unsicherheiten und Hürden für Forschung und Lehre nachhaltig beseitigt werden.
Vorstand der Gesellschaft für Medienwissenschaft e.V.
Vorstand und Ausschuss des Verbandes der Historiker und Historikerinnen Deutschlands e.V.
Der Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands e.V. ist die Interessenvertretung des Faches Geschichte gegenüber gesellschaftlichen Organisationen und staatlichen Behörden, er unterstützt die internationale Vernetzung der Geschichtswissenschaft, setzt sich für die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses ein und veranstaltet im zweijährigen Rhythmus den Deutschen Historikertag. Der VHD hat zurzeit 3.000 Mitglieder.
Die Gesellschaft für Medienwissenschaft ist der Dachverband für die Diskussion, den Austausch und die Profilierung medienwissenschaftlicher Themen in der Universität und in der Öffentlichkeit. Die GfM vertritt die kulturwissenschaftlich orientierte Medienforschung, gibt eine Fachzeitschrift heraus und veranstaltet eine jährliche Tagung. Die GfM hat zurzeit 1200 Mitglieder.
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